Es gibt Zeiten im Leben, da scheinen Probleme, Sorgen und Nöte einen förmlich zu erdrücken. Der bange Blick in das Weltgeschehen oder auch auf die eigenen Lebens- und Zukunftsfragen können so leicht Lebensmut und -freude schnell in grundsätzlichen Zweifel an der Sinnhaftigkeit der eigenen Existenz wie an der Welt als Ganzes umkehren.
Vermutlich kenne viele derlei Erfahrungen.
Aus meinem Leben als Seelsorger wie auch als Benedikt nehme ich das gerade anhand der andauernden Krisen unserer Zeit zunehmend wahr.
Unser Zusammenleben, unsere menschliche Existenz wie auch das Leben jeder und jedes Einzelnen scheint so fragil und zerbrechlich, wie es vielleicht vor 15 bis 20 Jahren vielen in unseren westlichen Gesellschaften nicht bewusst war.
Oftmals spüre ich nicht nur bei Anderen, dass sich Entmutigung ja auch Enttäuschung breit machen.
Wofür will ich überhaupt leben? Woher schöpfe ich Kraft? Was richtet mich auf? Wer herzt und verbindet mich, wenn ich verletzt am Boden liege?
Ich gebe zu, wir operieren am heutigen Sonntag an einem sehr sensiblen Punkt unseres Menschseins.
Und vorab – auch ich werde euch keine fertigen Antworten oder ein Patentrezept für diese Herausforderungen unseres Lebens liefern können. Doch ich nehme Euch mit auf eine Spurensuche um eine Idee zu bekommen, wie wir mit diesen kernigen Themen unseres Lebens umgehen können.

„Der Sonntag vom guten Hirten“ gehört in den Reihen der Sonntage zwischen Ostern und Pfingsten zum „Leseprogramm“ dieser Zeit.
Die biblischen Texte heute kreisen daher intensiv um dieses Bild, womit wir auch einen Wesenszug Gottes ins Wort zu bringen versuchen.
Der „gute Hirte“ – es ist ein uraltes Gottesbild, dass schon weit vor der Geburt des Christentums seine Wurzeln hat. Es ist der Versuch die zärtliche, liebevolle, fürsorgliche aber auch robust behütende Seite des Göttlichen sich prägnant vor Augen zu stellen. In den letzten Tagen habe ich mir intensiv die Frage gestellt, was es denn genau auf sich haben kann, mit diesem uralten Bild.
Die Inspiration für mein Nachdenken kam von Euch. Aus Euren Reihen wurde ich auf einen wundervollen Dokumentarfilm hingewiesen, der mich in der Folge sehr berührt hat.
Er trägt den Titel „Mission: „Joy – Zuversicht und Freude in turbulenten Zeiten“.
Darin begegnen sich zwei herausragende geistliche Persönlichkeiten unserer Zeit zu einem Austausch über das, was für sie tiefe und unerschütterliche Freude ausmacht. Den Dalai Lama und den 2021 verstorbenen anglikanischen Erzbischof von Kapstadt und Menschenrechtler Desmond Tutu verband zeitlebens eine von tiefer Zuneigung und Lebensfreude getragene Seelenfreundschaft. Der Film gewährt einen kleinen Einblick, in das besondere Miteinander dieser doch so unterschiedlichen Männer. Im Rahmen eines einwöchigen Interviews der Beiden, entstand neben dem Film auch der weltweite Bestseller „Das Buch der Freude“. Das kannte ich bereits vor dem Film. Ich lege es Euch nachdrücklich ans Herz.

Deutsche Vorschau zum Film

Noch vielmehr als der Inhalt des Interviews hat mich die Atmosphäre des Films zutiefst bewegt: Das Miteinander dieser Beiden beeindruckt mich nachhaltig. Trotz ihrer religiösen Unterschiede – aus welchen sie humorvoll keinen Hehl machen – sprüht aus ihrem Zusammensein eine tiefe Lebensfreude, Freundschaft und eine sich gegenseitig befruchtende Lebensweisheit. Eine Weisheit, die gerade durch die Härten ihrer eigenen Lebenswege geläutert und doch so hoffnungsvoll erscheint.
Beide Männer stehen für Biographien, die auf je unterschiedliche Weise mit himmelschreiendem Unrecht, Benachteiligung wie gesellschaftspolitischer Zerstörungswut umgehen mussten.
Der Dalai Lama als Exilant und Bewahrer eines von der Ausrottung durch das Peking-Regime bedrohten Kulturvolkes der Tibeter sowie Desmond Tutu als Sprachrohr und unermüdlicher Kämpfer für die Gleichheit aller Menschen im Apartheits-Regime Südafrikas.
Trotz ihrer teilweise aussichtslos erscheinenden Kämpfen, wird für mich in beiden eine Liebe zu sich, der Welt und ihrer je eigenen religiösen Tradition sichtbar, die ansteckt und die wirkliche Freude und Hoffnung weckt.
Was macht einen guten Hirten oder eine gute Hirtin aus?
Ich glaube, dass ich mit Blick auf diese Beiden eine Ahnung davon bekomme, wie die biblischen Texte uns Gott vor Augen stellen wollen.
Für mich geht es hier nicht um eine hierarchische Einordnung, sondern vielmehr darum, dass wir eine Ahnung bekommen, woher wir uns in den anfänglich beschriebenen Untiefen unseres Lebens Hilfe, Zuspruch und Stärkung erhoffen dürfen.
Ich muss zugeben, Desmond Tutu fasziniert mich – vielleicht auch weil ich durch die Brille des Christlichen gewohnt bin zu schauen – schon seit Langem. (Hier gehts zu einem ARD-Porträt anlässlich seines Todes 2021)
Seine Energie, die streitbare Leidenschaft für Gerechtigkeit und seine so tief von der Liebe Gottes zu jedem einzelnen Menschen getragene Glaubensüberzeugung inspirieren mich.
Er, wie der Dalai Lama, sie zeigen mir wie sehr wir als Menschheitsfamilie auch aufrichtige Hirtenmenschen brauchen. Menschen, die sich nicht vor den Karren machtpolitischer Ränkespiele spannen lassen und die selbst tief betroffen sind, was sie als den Kern göttlicher Liebe für sich erkannt haben.
Für Tutu hieß das „Ubuntu“ – ein in Südafrika geflügelter Begriff, der „Menschlichkeit in Verbundenheit“ bedeutet. Für Tutu wird der Mensch erst zum Menschen durch sein Miteinander mit anderen Menschen. Menschen sind aufeinander verwiesen und brauchen einander. Daher ist es Aufgabe von Hirtenmenschen, dieses Beziehungsgeflecht zu schützen, zu reparieren oder auch neu zu knüpfen. Muss man dazu Bischof oder Dalai Lama sein? – Nein.
Menschen wie diese Beiden, die uns so fröhlich und auch ehrlich von der Liebe Gottes und der Verbundenheit der Menschen erzählen und praktisch dafür einstehen sind ein Geschenk.
Wir brauchen derartige Hirten, weil sie uns ermutigen im eigenen Leben immer wieder weiterzumachen, aufzustehen, neu anzufangen. Sie sagen uns Gutes, lassen ihre Mitmenschen Gutes erfahren. So können sie auch uns stützen, inspirieren, anrühren und in unserem Dasein stärken. Im Kleinen sind wir alle sowohl Hirtinnen und Hirten als auch zuwendungsbedürftige und liebeshungrige Schafe. Wir leben davon, dass Andere sich für uns einsetzen, mit guten Worten und Taten sich uns zuwenden. Und Andere wiederum leben davon, dass wir ihnen Selbiges zu Teil werden lassen. Das ist Ubuntu – Menschlichkeit.
Eine Menschlichkeit, die gerade auch im Wirken Desmond Tutus von der tiefen Überzeugung getragen war, dass jeder Mensch, dass Du und ich, allen Widrigkeiten zum Trotz ein unendlich geliebter Teil der Schöpfung ist.
Im heutigen Bibeltext spricht Jesus: „Ich bin der gute Hirt, ich kenne die Meinen und die Meinen kennen mich…ich habe viele Schafe, die ich führen muss. Und sie werden auf meine Stimme hören.
Doch was wird diese Stimme sagen? Lauschen wir den Lamas, Tutus und vielen anderen Menschen dieser Welt, so könnte das wohl so klingen, wie ich es selbst immer wieder von mir wichtigen Menschen, meinen persönlichen Seelenhirten hören durfte:
„Trotz allem, was Dich beutelt und was dich drückt, ich glaub an dich! Und ich glaub auch, dass der Liebe Gott noch so viel Schönes und Gutes mit dir vor hat…. 
Das kannst du jetzt gerade wahrscheinlich gar nicht glauben und musst es auch gar nicht….
Da ist so viel Gutes in dir und so viel Sehnsucht….

warum sollte das denn letzten Endes keine Erfüllung finden…“

Diese Hoffnung ist es, die Desmond Tutu zeitlebens getragen hat.
„Ich bin kein Optimist, ich bin ein Gefangener der Hoffnung“, pflegte er über sich selbst zu sagen. Eine Hoffnung, die oft auch auf die Probe gestellt worden ist. Seine Botschaft wurde oft nicht gehört, geschweige denn verstanden.
Wie so viele leidenschaftliche Kämpfer für Gerechtigkeit und Gleichheit vor ihm, musste erleben, dass sich politisch in seinem Land und der Welt nicht alles zum Besseren entwickelte. Er blieb ein Mahner und Aktivist für die Benachteiligten.
Auch seine Kirche wollte ihn nicht verstehen.
Als seine Tochter Mpho, die ihm ins Priesteramt gefolgt war, sich zu ihrer Beziehung mit einer anderen Frau bekannte und sie heiratete, wurde ihr durch ihre Kirchenleitung die Ausübung ihres Amtes verboten.
Ihr Vater, der sich schon früh auf für die Rechte von Schwulen und Lesben eingesetzt hatte, musste ohnmächtig dabei zusehen.

Wir sehen, auch solch herausragende Menschen vermögen nicht alles zu einem Besseren zu verändern. Doch sie bleiben für mich ein hellstrahlender Leuchtturm einer Hoffnung, die selbst allen Widerständen, allen Grausamkeiten und Ungerechtigkeiten zum Trotz, nie ganz ihre Strahlkraft einbüßen.
Auch wenn die Menschheit, Politik oder auch Religion es nicht verstehen können oder wollen: Der Same der Hoffnung und Liebe keimt.
Selbst im Angesicht der Gegner, über die Tutu wiederholt folgendes immer wieder sinngemäß sagte: „Ihr seid alle nicht perfekt. Niemand von uns ist das. In den Augen Gottes jedoch sind wir alle geliebte, noch unfertige Meisterstücke, die sich nach ihrer Vollendung sehnen. Dafür arbeiten wir.“

Mögen wir als Menschheit noch von vielen weiteren unerschütterlichen und tatkräftigen Hoffnungsträgerinnen und -trägern gesegnet sein. Der Dalai Lama wie Erzbischof Tutu haben ihren Beitrag bereits geleistet.

Eine Antwort zu „Gute Hirten?! – Mit dem Dalai Lama und Erzbischof Tutu auf Spurensuche.”.

  1. Avatar von Hildegard Khelfa
    Hildegard Khelfa

    Danke für diese schönen Gedanken und die wertvollen Links. Buch soeben gebraucht bestellt und den Film soeben auf Prime begonnen. Musste schon bei der Intro herzlich lachen über diese wunderbaren Kindsköpfe und großen Seelen.

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